top of page

Hochverarbeitete Lebensmittel: Genuss mit Suchtgefahr?

Immer mehr Studien weisen darauf hin: Hochverarbeitete Lebensmittel können abhängig machen - ähnlich wie Alkohol oder Tabak. Wie viele Menschen betroffen sind und welche Mechanismen bei der Verdauung und im Gehirn eine Rolle spielen könnten, damit beschäftigte sich kürzlich ein Forscherteam.

(Science News 32: Haben hochverarbeitete Lebensmittel ein Suchtpotential und warum?)


Fragezeichen aus hochverarbeiteten Lebensmitteln

Hochverarbeitete Lebensmittel (HvL) sind industriell hergestellte Produkte, die typischerweise Zutaten oder Zusatzstoffe enthalten, die in Haushalten üblicherweise nicht verfügbar sind. Der weltweite Konsum derartiger Produkte wie beispielsweise Fertiggerichte, Softdrinks, Feinbackwaren oder Wurstwaren steigt seit Jahren rapide an. So wird in Ländern wie dem Vereinigten Königreich oder den USA mittlerweile mehr als die Hälfte der täglichen Energieaufnahme über HvL aufgenommen. In einer Studie aus 2022 betrug in Österreich die durchschnittliche Energiezufuhr aus HvL bei Männern 31,7 % und bei Frauen 30,2 %. Gleichzeitig stellten zahlreiche Studien einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten Konsum von HvL und einem schlechten Gesundheitszustand fest. Dies schließt zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für Krebs, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein.

 

Eine kürzlich im British Medical Journal veröffentlichte Analyse beschäftigte sich mit der Frage nach dem suchtauslösenden Potenzial von HvL und den möglichen ursächlichen Mechanismen dahinter.

 

 

Methode

Die Analyse bezog zwei systematischen Reviews mit insgesamt 281 Studien aus 36 verschiedenen Ländern ein, die Esssucht bzw. Sucht nach Nahrungsmitteln mittels der validierten Yale Food Addiction Skala (YFAS) erfassten. Diese Methode wurde für Erwachsene aber auch für Kinder und Jugendliche entwickelt, wobei die DSM-5-Kriterien (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) für Substanzkonsumstörungen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme anwendet werden. Zu den Verhaltensweisen, die zur Erfüllung dieser Kriterien beitragen, gehören starkes Verlangen, Entzugssymptome, geringe Kontrolle über die Nahrungsaufnahme und fortgesetzter Konsum trotz bereits bestehender Fettleibigkeit, Essanfälle, schlechtere körperliche und geistige Gesundheit sowie geringere Lebensqualität.

 

 

Prävalenz: Sucht nach HvL

Die Forscher*innen fassten zusammen, dass die Prävalenz der Lebensmittelsucht nach HvL bei Erwachsenen 14 % und bei Kindern 12 % beträgt. Diese Prävalenz entspricht in etwa auch der Häufigkeit von anderen legalen substanzgebundenen Abhängigkeiten bei Erwachsenen, wie z.B. 14 % bei Alkohol und 18 % bei Tabak.

 

 

Mögliche Ursachen für das Suchtpotential von HvL

Die Autoren widmeten sich in ihrer Analyse auch möglichen Ursachen für das Suchtpotenzial von HvL. Ein Erklärungsmodell ist, dass viele dieser Lebensmittel einen hohen Anteil an Kohlenhydraten und Fetten enthalten, wobei das Verhältnis der daraus gelieferten Kalorien bei HvL häufig weitgehend ausgeglichen ist. Zum Beispiel enthalten 100 g eines Schokoriegels 237 kcal aus Kohlenhydraten und 266 kcal aus Fett (1:1), während 100 g Lachs 0 kcal aus Kohlenhydraten und 73 kcal aus Fett liefern (ungefähr 0:73). Die Kombination von raffinierten Kohlenhydraten und Fetten, wie sie häufig in HvL vorkommt, scheint dabei eine super-additive Wirkung auf das Belohnungssystem des Gehirns zu haben. Sprich: Die Wirkung liegt über jenem Level, das ein einzelner Makronährstoff erreicht, was wiederum das Suchtpotenzial dieser Lebensmittel erhöhen könnte.

 

Laut Studienautoren könnte auch die Geschwindigkeit, mit der Kohlenhydrate und Fette in den Darm gelangen, für das Suchtpotenzial von Bedeutung sein und somit ein weiteres Erklärungsmodell darstellen. Bei HvL kann die Lebensmittelmatrix so verändert sein, dass die Nahrungsbestandteile leichter und schneller absorbiert werden und damit möglicherweise auch schneller auf das Gehirn wirken. Ein Beispiel sind Nüsse, die zwar einen relativ hohen Fettanteil haben (100 g Mandeln liefern 86 kcal aus Kohlenhydraten und 449 kcal aus Fett, also etwa im Verhältnis 1:5), der jedoch mit einem geringen Suchtpotential in Verbindung gebracht wird. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Nüsse einerseits ein höheres Verhältnis von Fett zu Kohlenhydraten aufweisen. Andererseits bleiben die Fette nach dem Kauen in den Zellwänden eingekapselt, sodass sie insbesondere in den frühen Phasen der Verdauung nur eingeschränkt verfügbar sind. Dies ist deshalb von Bedeutung, da Signale aus dem oberen Darm, nicht jedoch aus dem unteren Teil des Verdauungstrakts, die Ausschüttung von Dopamin im Gehirn auslösen. Da HvL aufgrund der veränderten Lebensmittelmatrix sehr rasch und somit bereits im oberen Darm resorbiert werden, besitzen sie die Fähigkeit schnell Belohnungsstoffe (wie z.B. Dopamin) zu aktivieren, was zu ihrem erhöhten Suchtpotenzial beitragen könnte.

 

 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass HvL zwar ein Suchtpotenzial haben, die Bewertung dieses Potentials jedoch eine komplexe Herausforderung darstellt. Die bisherige Forschung konzentrierte sich hauptsächlich auf einzelne Inhaltsstoffe. Es bedarf jedoch weiterer Studien, um die Wechselwirkungen der Inhaltsstoffe besser zu verstehen und herauszufinden, wie sie in Kombination das Suchtpotenzial von Lebensmitteln beeinflussen können. Besonders relevant ist dabei auch die Frage nach der Dosierung, um zu ermitteln, ab welchen Mengen Inhaltsstoffe für das Suchtpotenzial eines Lebensmittels verantwortlich sind.

 

Literatur:

Gearhardt AN, Bueno NB, DiFeliceantonio AG, Roberto CA, Jiménez-Murcia S, Fernandez-Aranda F. Social, clinical, and policy implications of ultra-processed food addiction. BMJ. 2023 Oct 9; 383:e075354. doi: 10.1136/bmj-2023-075354


Mertens E, Colizzi C, Peñalvo JL. Ultra-processed food consumption in adults across Europe. Eur J Nutr. 2022 Apr; 61(3):1521-1539. doi: 10.1007/s00394-021-02733-7



Science News Download:



Commenti


bottom of page