Im globalen Kampf gegen Adipositas und ihre Folgeerkrankungen wird immer wieder eine Steuer auf zuckerreiche Lebensmittel, insbesondere Getränke, diskutiert und in einigen Ländern wie Großbritannien bereits auch umgesetzt. Hat diese Maßnahme tatsächlich bei den Menschen eine gesündere, weniger süße Ernährung mit einer Reduktion des Zuckerkonsums sowie einer Abnahme der Prävalenzen von Übergewicht bzw. Adipositas bewirkt? SIPCAN hat die aktuelle Datenlage aus einem erweiterten Blickwinkel beleuchtet und in dieser Science News Ausgabe (Nr. 30) zusammengefasst.
Übergewicht und Adipositas sind ein globales Problem. Kürzlich veröffentlichte Daten einer im Fachjournal Lancet erschienenen Studie zeigen, dass heute weltweit jeder achte Mensch von Adipositas betroffen ist. Ein Faktor, der mit dieser Entwicklung in Verbindung gebracht wird, ist ein hoher Zuckerkonsum. Studienergebnisse zeigten sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen einen positiven Zusammenhang zwischen dem vermehrten Konsum zuckergesüßter Getränke und einer Gewichtszunahme sowie Adipositas.
Verschiedene Länder setzen im Kampf gegen diese Entwicklung unter anderem auch auf eine Zuckersteuer. So kündigte beispielsweise die britische Regierung im März 2016 die Einführung einer gestaffelten Zuckersteuer für Hersteller, Importeure und Abfüller von Erfrischungsgetränken an, die mit April 2018 in Kraft trat. Die Höhe der Zuckersteuer ist dabei vom Zuckergehalt abhängig. Erfrischungsgetränke, die 5 bis 8 g Zucker pro 100 ml enthalten, werden pro Liter Getränk mit umgerechnet 0,21 Euro besteuert, jene mit über 8 g Zucker pro 100 ml mit umgerechnet 0,28 Euro. Die Abgabe sollte einerseits Anreize für die Hersteller schaffen, den Zuckergehalt von Erfrischungsgetränken zu reduzieren und andererseits auch einen gesünderen Lebensstil der Bevölkerung unterstützen, indem diese dazu animiert wird, weniger süße Produkte zu konsumieren. Das übergeordnete Ziel wäre, dass sich diese Maßnahme in einer reduzierten Zuckeraufnahme sowie niedrigeren Übergewichts- bzw. Adipositasprävalenzen widerspiegelt.
Nun erschien im August 2024 im „Journal of Epidemiology and Community Health“ eine Studie von Rogers et al., die im Detail die Reduktion der Zuckeraufnahme durch die in Großbritannien eingeführte Zuckersteuer beschreibt. Da diese Ergebnisse auch eine breite mediale Aufmerksamkeit erhielten, betrachtete das vorsorgemedizinische Institut SIPCAN die mit der Zuckersteuer verbundenen Folgen und Effekte aus einem erweiterten Blickwinkel. Ziel war es zu hinterfragen, ob die Zuckersteuer als überzeugende Maßnahme im Sinne einer positiven gesundheitspolitischen Entwicklung eingestuft werden kann.
1. Wie veränderte sich die Zuckeraufnahme aus Getränken?
Rogers et al. berechneten, dass durch die Zuckersteuer der tägliche Zuckerkonsum aus Süßgetränken bei Kindern um 23,5 % und bei Erwachsenen um 40,4 % zurückging. Drückt man diese Reduktion des Zuckerkonsums jedoch statt in Prozentzahlen in Grammangaben aus, entspricht dies für Kinder einer täglichen Zuckerreduktion von 3,0 g und für Erwachsene von 5,2 g. Dies bedeutet, dass Kinder aufgrund der Zuckersteuer pro Tag um 12 kcal weniger aus Getränken aufnehmen. Bei Erwachsenen reduzierte sich die Energieaufnahme aus Getränken um 20,8 kcal. Die eingesparte Kalorienmenge aus dem Getränkekonsum liegt somit sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen bei nur rund 1 % der empfohlenen täglichen Gesamtenergieaufnahme.
2. Wie reagierte der Getränkemarkt auf die Zuckersteuer?
Da in der Publikation von Rogers et. al nicht beschrieben wird, wie sich der Getränkemarkt durch die Zuckersteuer entwickelte, führte SIPCAN im August 2024 eine Recherche des Getränkesortiments im Online-Store der größten britischen Supermarktkette Tesco durch. Ziel war es zu analysieren, wie die Getränkeindustrie auf die Zuckersteuer reagierte. In die Analyse konnten 139 verschiedene Süßgetränke eingeschlossen werden. 100%ige Fruchtsäfte und Smoothies wurden nicht berücksichtigt. Von den 139 angebotenen Erfrischungsgetränken enthielten 2,2 % mehr als 8 g Zucker, 4,3 % 5 bis 8 g Zucker und 93,5 % weniger als 5 g Zucker. Von allen Getränken, die weniger als 5 g Zucker enthielten, waren 92,3 % mit Süßstoffen versetzt. Bezogen auf Getränke aller drei Kategorien lag der Anteil süßstoffhaltiger Getränke bei 87,8 %. Wie diese Daten zeigen, setzt die britische Getränkeindustrie, um eine Besteuerung zu vermeiden, aber gleichzeitig auch ihre an sehr süße Getränke gewöhnte Konsument*innen nicht zu verlieren, äußerst stark auf den Einsatz von Süßstoffen. Diese sind von der Zuckersteuer ausgenommen.
3. Wie wirkte sich die Zuckersteuer auf den Getränkekonsum aus?
Das Konsumvolumen stark zuckerhaltiger Getränke (über 8 g pro 100 ml) ging in Großbritannien im Zeitraum von 2015 bis 2020 von 27 % auf 10 % zurück. Gleichzeitig nahm der Konsum von Getränken unter 5 g Zucker pro 100 ml im selben Zeitraum um 65 % zu. Insgesamt trinken die Briten nach der Einführung der Zuckersteuer um 21,3 % mehr Erfrischungsgetränke als vor der Einführung. Die Briten trinken durch die Zuckersteuer also weniger stark zuckerhaltige Getränke, mehr süßstoffhaltige Getränke und insgesamt deutlich mehr Erfrischungsgetränke.
4. Wie wirkte sich die Zuckersteuer auf die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas aus?
Entgegen der weitläufigen Annahme zur Effektivität von Zuckersteuern wird die britische Bevölkerung immer dicker. Bei Erwachsenen stieg die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas von 60,8 % im Jahr 2015 auf 61,4 % im Jahr 2022. Bei den 10- bis 11-Jährigen stieg der Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder von 33,2 % (2015) auf 36,6 % (2022). Ein Faktor dieser multikausalen Entwicklung könnte auch der breite Einsatz von Süßstoffen sein. Diesbezüglich veröffentlichte die WHO 2023 eine neue Empfehlung, die darlegt, dass es für den Einsatz von Süßstoffen keine Evidenz für langfristige Vorteile im Hinblick auf eine Reduktion von Körpergewicht oder Körperfett bei Erwachsenen und Kindern gibt.
5. Welche Rolle spielte die Portionsgröße auf die Veränderung der Zuckeraufnahme im Rahmen der Zuckersteuer?
Um das übergeordnete Ziel zu erreichen, den Zuckergehalt pro Verkaufseinheit um mindestens 20 % bis 2020 zu reduzieren, wurde die britische Getränkeindustrie bereits im Jahr 2016 dazu aufgerufen, die Portionsgrößen gezielt zu reduzieren. Die Getränkeindustrie folgte diesem Aufruf primär für zuckerreiche Produkte über 8 g Zucker/100 ml. Die durchschnittliche Gebindegröße reduzierte sich in dieser Kategorie bis April 2018 um 305 ml. Dies entspricht einer Mindestreduktion des Zuckergehaltes pro Gebinde von 24,4 g oder 97,6 kcal.
Fazit
Um die Abgabe einer Zuckersteuer zu umgehen, setzt die britische Getränkeindustrie äußerst stark auf den Einsatz von Süßstoffen. Die SIPCAN-Recherche von in Großbritannien erhältlichen Erfrischungsgetränken zeigte, dass 87,8 % der Produkte mit Süßstoffen versetzt sind. In der Kategorie von Getränken mit weniger als 5 g Zucker pro 100 ml liegt der Anteil sogar bei 92,3 %. Das Konsumverhalten veränderte sich dahingehend, dass nach der Einführung der Zuckersteuer um 21,3 % mehr süße Erfrischungsgetränke als vor der Einführung getrunken werden. Gleichzeitig ist auch der Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder und Erwachsener angestiegen. Diese Zahlen legen den Schluss nahe, dass die Einführung der Zuckersteuer in Großbritannien nicht zum erhofften Ziel führte.
(Literatur im Download-Dokument)
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